Rudulf Sagmeister
Unbehaust
in der
Warteschleife
Die Bilder von Ingmar Alge sind groß und flächig, sparsam im Farbauftrag und sparsam in der Darstellung von Menschen und Dingen. Die Fläche als Fläche, die Farben als Farbe der Objekte und zugleich abstrakte Fläche der Malerei und Projektionsfläche der Betrachtung. Geometrische Formen als Konstruktion, als Haus, Fenster, Balkon, Parkplatz, Flugzeug, Wohnmobile, angeschnittene Flächen, ausgeschnittene Flächen, Garagentore, Rollläden, Dächer, Hecken, Satellitenschüssel, Kamin, Wolken, Gras, Mauern und Licht, Schatten, Schlagschatten, Horizontale und Diagonale, weiter Horizont und räumliche Enge. Unbehauste Häuser, Einfamilienhaus-Ghetto, heruntergelassene Rollläden, Markisen, Fensterläden, beschnittene Hecken beschneiden die Blicke, verstecken, verbergen, verschlossen, versperrt, einsam in sich zurückgezogen, ohne Nachbarn, den Nachbarn abweisend, was geht vor hinter den verschlossenen Türen und Fenstern? Häuser als Statthalter der Menschen, stumm den Kontakt verweigernd, sprachlos, zeitlos, wartend auf nichts? Wohnmobile allein am Strand, vor weitem Horizont oder dicht an dicht, doch ohne Menschen, als leere Hülle, unbehaust. Menschen im Wartehäuschen, am Kreisverkehr, unter Straßenlaternen, nachts im künstlichen Lichtschein der Lampen, wartend mit Koffer, an der Straße, am Flughafen, im Flugzeug, im Transit, verloren auf der Asphaltfläche des einsamen Parkplatzes, auf der Verkehrsinsel vor dem Anzeigenschild, an das Geländer gelehnt, allein auf gereihten Designer-Wartebänken. Menschen in Posen, verloren, ohne Gegenüber, ganz für sich vor glatt verlaufenden Farbflächen, wie Inseln des Lebens im Nichts. Standardisierte industrielle Möblierung im Außen- und Innenraum, überall gleich oder ähnlich, wohin auch die Reise führt. Ausgeleuchtete Helle des unbelebten Swimmingpools in der Nacht, gekurvte Schatten an blauen Geraden der Wände des Pools, weiß auslaufende Gischtwellen am nächtlichen Meeresstrand, bleich leuchtende Plastikstühle vor gestreiftem Wohnmobil, Menschen einsam an einsamen Plätzen und Interieurs – wie Gestalten von Edward Hopper ins 21. Jahrhundert versetzt. Da helfen kein Yoga, kein Mobiltelefon, kein Golfplatz, keine Palmen, keine Topfpflanzen und keine Tischlampe gegen die Kälte des Seins.
© Rudolf Sagmeister
Translation: Michael Robinson
In: Ingmar Alge, Galerie der Stadt Backnang,
Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2013